Es folgen zwei konstruierte Beispiele, die jedoch eine typische Dynamik aus der Praxis abbilden.
Mia hat Schwierigkeiten, in der Gruppe anzukommen. Sie weint stark, wenn die Mama sie am Kindergarten verabschiedet und braucht sehr lange, um sich zu beruhigen. Wenn sie sich beruhigt hat, spielt sie alleine und nicht mit den anderen Kindern. Es hat ihr geholfen, ein Kuscheltier oder Spielzeug von zu Hause mitzubringen. Dieses möchte sie nicht aus der Hand geben. Im Kindergarten mag sie gar nichts essen. Sie hat genaue Vorstellungen davon, was sie essen mag und wie es auf dem Teller aussehen soll. Auch in der weiteren Entwicklung zeigt sie wenig Interesse, mit anderen Kindern Kontakt aufzunehmen. Die Eltern sagen, sie sei halt schüchtern und ruhig.
Noah verhält sich im Kindergarten lauter und aggressiver als zu Hause. Er fängt an, andere Kinder zu schlagen oder zu schubsen und rennt viel herum. Die Eltern erfahren von den Erzieherinnen, dass ihr Sohn ein anderes Kind geschlagen haben soll oder weglaufen wollte. Außerdem halte er sich nicht an die Kindergartenregeln, die Erzieherinnen müssten ihn ständig ermahnen und auf ihn aufpassen. Die Eltern können das gar nicht verstehen, zu Hause ist er wie immer. Noah erzählt auch nichts von den Konflikten im Kindergarten. Die Eltern erfahren das nur über die Erzieherinnen. Der Papa schimpft ihn dann aus und sagt ihm, er solle sich mal zusammenreißen und richtig benehmen lernen. Die Mama findet das Verhalten der Erzieherinnen unfair, da sie ihren Sohn ja anders kennt. Keine der Maßnahmen der Eltern oder der Erzieherinnen ändert das Verhalten von Noah. Die Eltern beginnen sich im Verlauf Sorgen zu machen, weil die anderen Kinder nicht mehr so gern mit Noah spielen möchten.
Die obigen Beispiele sollen verdeutlichen, dass es manchmal nicht ganz eindeutig ist, was „tatsächlich“ los ist. Mia und Noah fallen im Vergleich zu anderen Kindern auf, die Ursachen dafür sind aber unklar. Man kann verschiedene Gründe dafür vermuten oder unterstellen: Die Kinder seien ungezogen, vom Temperament seien sie nun mal einfach lebendig oder schüchtern, sie bräuchten noch Zeit, um sich einzugewöhnen, die Eltern seien zu nett, die Erzieherinnen zu streng oder vieles weitere.
Das ist auch der Fall. Gleichzeitig kann es sein, dass sich ein Kind im Kindergarten anders zeigt und verhält als zu Hause. Das heißt, die Erzieherinnen bekommen etwas von dem Kind mit, was die Eltern noch nicht wissen. Im schlimmsten Fall entsteht eine Situation, in der sich die Eltern mit den Erzieherinnen streiten, wer Recht hat oder wer Schuld hat. Das sollte unbedingt vermieden werden, weil das Wichtigste damit aus dem Blick gerät: Nämlich, dass das Kind Schwierigkeiten hat und einen liebevollen und förderlichen Rahmen braucht, um sich gut zu entwickeln.
Es hilft, sich daran zu erinnern, dass Kinder in den ersten Lebensjahren enorm viele Entwicklungsschritte zu bewältigen haben. Das geht allen Kindern so. Bei einigen Entwicklungsschritten benötigen Kinder dann etwas mehr Unterstützung und schaffen das nicht allein.
Für die richtige Unterstützung ist es wichtig einen gemeinsamen Dialog zwischen Eltern und Fachkräften zu entwickeln und sich offen auszutauschen. So kann zunächst ein gemeinsames Verständnis für die Situation entwickelt werden. Danach kann man klären, welche Ressourcen und Unterstützungsmöglichkeiten nötig sind, um dem Kind zu helfen.
In einigen Fällen kommt man so schon auf gute Lösungen im Gespräch mit Kindergarten oder Schule. In anderen Fällen muss man sich zusätzlich auf die Suche nach den Ursachen machen.
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Manchmal kommt man dann zu dem Schluss, dass es wichtig ist auch zusätzlich gezielte Unterstützung und Förderung für das Kind zu erschließen.
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